Yury Nesterenko Wüstensturm - 2, oder WinWars 2002 Der Softwarehersteller Microsoft unterzeichnete einen Vertrag mit der US-amerikanischen Armee zur Entwicklung der Software für neue Waffentypen. (Aus dem Internet) 01.04.2002, 4:30. Saudi-Arabien. US-Luftwaffenstützpunkt. Leutnant John Falcon winkte zum letzten Mal seinen Kameraden zu und stieg in den Cockpit. Der Stolz erfüllte ihn. Kein Wunder, ihm wurde eine große Ehre zuteil. Das erfuhr er von General Break, der ihm gesagt hatte: "Ihnen wird eine große Ehre zuteil, Leutnant. Sie werden den ersten Flug mit dem modernsten hochgeheimen Flugzeug F-22M durchführen." "'M' steht für 'modifiziert'?" - fragte Falcon. "'M' steht für 'Microsoft'" - antwortete der General. - "Die Jungs haben das Flugzeug wurde komplett umge- rüstet. Sie versichern, jetzt wird jeder Idiot die Kampfaufträge durchführen können. Aber für das erste Mal haben wir Sie als einen unserer besten Piloten ausge-wählt. Sie werden das irakische Nuklearzentrum zerstören müssen." "Sie können die Beileidsbekundungen schon jetzt dem Saddam übermitteln, Sir", - antwortete Falcon. Der Leutnant schnallte die Gurte wie gewohnt zu und merkte erst jetzt, dass sich das Armaturenbrett auffдllig vom Standard unterscheidet. Es gab weniger Anzeigen, dafür ruhte auf dem freigewordenen Platz eine Zweitasten-Maus, dazu noch aus Metall. Falcon zuckte die Achseln und machte den Hauptschalter an. Auf dem transparenten Frontbildschirm erschien auf dem Hintergrund des sich vor dem Cockpit öffnenden spärlich bewölkten Himmels die Überschrift: Microsoft Winwars 2002. Die Triebwerke starteten von selbst und die Flügel- klappen senkten sich in die Abflugstellung. "Vielen Dank für den Erwerb von Winwars 2002!" - teilte der Bildschirm mit. - "Jetzt wird der Krieg viel bequemer, Ihr Abschussrisiko wird sinken und Ihre Zieltrefferquote steigen! Tagestipp: Fahren Sie vor der Landung das Chassis aus." - Adler-1, Sie sind klar zum Abflug - erklang in der Kopfhaube. - Ich habe noch nicht angefordert - wunderte sich Falcon. - Brauchen Sie auch gar nicht. Plug'n'play - erklärte die Bodenkontrolle. Das Flugzeug fuhr, rasch beschleunigend, über die Startbahn und war schon bald in der Luft. "Winwars 2002 wird gleich Ihre Munition für das ausgewählte Ziel installieren, - teilte das System mit - Ausgewähltes Ziel: irakisches Nuklearzentrum". Falcon klickte Interesses halber auf den Button "Ändern" und sah eine lange Liste, in der unter anderen Objekten aus der ganzen Welt das Weiße Haus und der Stützpunkt aufgeführt waren, von dem er gerade abgehoben hatte. Falcon drückte hastig auf "Abbrechen". "Wählen Sie den Installationstyp: Minimal - auf das Zielobjekt werden nur Bomben abgeworfen Standard - auf das Zielobjekt werden Bomben und Raketen abgeworfen Vollständig - auf das Zielobjekt wird das gesamte Flugzeug abgeworfen" Als Voreinstellung bot das System die zweite Option an, und Falcon, nach ängstlichem Blick auf die dritte, entschied, ihm nicht zu widersprechen. "Jetzt wird ein Leistungstest ihrer Maschine durchgeführt. Schließen Sie die Augen, um Schäden bei Moduswechseln zu vermeiden". Die Triebwerke dröhnten im Beschleunigungsmodus auf, und Falcons Augen wären tatsächlich vor ungeheurer Belastung fast aus den Augenhöhlen gesprungen. Ein wahres Inferno begann: das Flugzeug wurde nach allen Seiten geschleudert, es ging in steilen Sturzflügen nieder und legte unglaubliche Kurven ein... Endlich kam der Leutnant wieder zu sich; die Dunkelheit vor den Augen verflog, und er sah, wie die Maus, die zuvor durch den ganzen Cockpit flog, zurück auf ihren Platz fiel. "Sie benutzen das Flugzeug Lockheed F-22 mit zwei Triebwerken von Pratt & Whitney - teilte das System unbeeindruckt mit. - Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 1451 Meilen pro Stunde. Tagestipp: erhöhen Sie die Taktfrequenz der Turbine nicht über den vom Hersteller angegebenen Wert. Geschätzte Installa- tionsdauer - 0:34:16." Gleicher Tag, 4:52. Himmel über dem Irak. Unten am Bildschirm kroch der blauer Prozentbalken langsam vor sich hin. Das System bewarb währenddessen Winwars für Panzer, U-Boote und Marineinfanteristen, und versprach außerdem allen Käufern der Flugzeugversion das kostenlose Applet "Kamikaze 1.01". Der Bilderwechsel wirkte einschläfernd auf Falcon; aus dem Schlummerzustand führte ihn ein Summton. Auf dem Radar leuchtete ein grüner Punkt. "Neues Gerät gefunden: ein feindliches Flugzeug!" - teilte das System freudig mit. Falcon wollte schon die übliche steile Kehrtkurve ausführen, aber da fiel ihm der Knopf "Löschen" auf und er klickte darauf. "Wollen Sie wirklich das feindliche Flugzeug löschen?" - fragte das System misstrauisch. "Und ob!" - Falcon klickte "Ja". Der irakische Jäger verschwand vom Radar. "So schnell? - wunderte sich der Leutnant. - Microsoft ist cool!". Er ging sogar daran, die auf dem Bildschirm aufgetauchte Werbung für Winwars für behinderte Piloten respektvoll zu studieren, wurde jedoch von dieser Be- schäftigung durch eine Rakete abgelenkt, die direkt über seinem Cockpit vorbeigeflogen war. Falcon drehte sich befremdet um und sah den irakischen Abfangjäger. "Was soll die Sch..." - rief Falcon und merkte erst jetzt, dass aus einem unauffälligen Icon Papierkorb in der Bildschirmecke ein gezeichnetes Flug- zeugheck ragt. Der Leutnant klickte wütend auf das Icon und drückte auf "Leeren". "Wollen sie wirklich das feindliche Flugzeug dauerhaft löschen? Es kann danach nicht mehr wieder hergestellt werden", - warnte das System. "Ja!" - brüllte Falcon, die Maus klickend. Unter dem Flügel riss sich ein Sidewinder los, eine weiße wollige Spur hinterlassend, und jagte dem feind- lichen Abfangjäger entgegen. Eine Explosion blitzte auf, und brennende Trümmer der feindlichen Maschine stürzten zu Boden. Es war jedoch zu früh, um sich zu entspannen. Ein fiedelnder Ton warnte vor neuer Gefahr. "Neues Gerät gefunden: eine Boden-Luft-Rakete!" - tat das System kund und fiel ins Grübeln. Falcons hämmerte auf die Maus vergeblich und blickte, wie der unheilvolle Punkt zum Radarzentrum kroch. Endlich kam das System aus der Starre: "Der Treiber für das Gerät konnte nicht gefunden werden. Legen Sie eine Diskette mit dem Treiber und drücken Sie OK". Fluchend drückte Falcon "Suchen". "Nächste Entsprechung: Handgranaten - erfreute ihn das System. - Übernehmen?" Falcon riss den Steuerknüppel zur Seite, um ins Raketenabwehrmanöver auszu- weichen.Zu spät. Eine Explosion erschütterte das Flugzeug. Nachdem er das beschädigte Flugzeug mit Mühe aus dem Sturzflug führte, klickte der Pilot auf den Knopf "System". Unter der Zeile "Linke Tragfläche" leuchteten gelbe Dreiecke mit Ausrufezeichen "Querruder" und "Flügelklappe", aber ansonsten war er glimpflich davon gekommen. Der blaue Balken, der unten weiterkroch, zeigte bereits 82%, und er hatte immer noch eine Chance, den Auftrag zu erfüllen. Das Radar zeigte zwei weitere feindliche Flugzeuge, doch sie stiegen hinten auf und kümmerten Falcon nicht besonders. Er wusste, dass dieser irakische Schrott sein Hochgeschwindigkeits-F-22 einfach nicht einholen kann. Die Flugzeuge kamen jedoch näher. Falcon blickte verwundert auf den Tacho und begriff, dass seine Geschwindigkeit rapide abfällt. "Was soll der Mist?!" - rief der Leutnant. - Die Triebwerke sind doch in Ordnung, und der Tank ist voll!". Der Bildschirm begann inzwischen, mit einer Sanduhrabbildung erbittert zu blinken. Die Armaturenzeiger bewegten sich in kurzen Sprüngen und blieben lange in einer Position stehen. "Zu wenig freien Arbeitsspeicher, - bequemte sich das System zu einer Erklärung. - "Schließen Sie nicht mehr benötigte Anwendungen". Falcon rief den Taskmanager auf und versuchte zu verstehen, was die Namen 'winppl' oder 'v666apl' bedeuten und welche von ihnen nicht mehr benötigt werden. In der Zwischenzeit waren die Triebwerke fast verstummt, die Ge- schwindigkeit fiel auf den kritischen Wert zurück: noch ein Bisschen, und das Flugzeug stürzt ab. Verblüfft durch diese Taktik des Luftkampfs sausten die Iraker vorbei, der eine links, der andere rechts, und stießen, ohne aus der Starre zu kommen, vor Falcons Nase zusammen. Der Leutnant fand währenddessen in der Liste die Zeile "Gegnerortung", neben der es in Klammern hieß "[Antwortet nicht]", und drückte 'OK'. Der Radarschirm erlosch, dafür begann das Flugzeug wieder zu beschleunigen. Der blaue Balken zeigte schon 99%..., und dann, endlich, 100. Falcon schaute befremdet hinunter: die Wüste unten ähnelte überhaupt nicht den von ihm stu- dierten Satellitenbildern des Nuklearzentrums. Das System schien dies auch zu verstehen, weil nach der Zahl 100% die Zahl 101 folgte, ... dann 102... Bei 106 füllte das Blau den Bildschirm und die Überschrift erschien: "Fehler 000000e, verursacht vom Modul VXD0000(0) aus dem Modul VXD0000(0). Der Flug kann normal fortgesetzt werden. Drücken Sie Eject zum Katapultieren oder jede andere Taste zur Fortsetzung. Achtung: beim Katapultieren kann das ganze unge- speicherte Flugzeug verloren gehen." Falcon hatte noch nicht vor zu katapultieren, insbesondere wo vorne, endlich, das Nuklearzentrum auftauchte. Er verstand, dass auf Microsoft kein Verlass mehr war, und bereitete sich auf den manuellen Bombenabwurf vor. Er setzte zum Sinkflug an und wartete ab, bis der Marker des Zielsuchsystems das Ziel überlagert. Jawohl! Falcon drückte den Knopf ein. Irgendetwas knirschte, und eine neue Meldung tauchte auf: "Die Bombenluke führte eine unzulässige Operation aus und wird geschlossen." Fluchend zog Falcon den Steuerknüppel zu sich, um die Maschine nach oben zu steuern. Das Flugzeug ging aber weiter schnell herunter. Der Leutnant durchstöberte hastig mit der Maus die Menüchen auf der Suche nach der Ursache. "Der Joystick konnte nicht erkannt werden" - konnte er endlich lesen. Er begriff, dass nur ein Neustart das System zum Arbeiten bringen konnte, und machte die Stromversorgung zunächst aus und dann an. "Der letzte Flug wurde nicht korrekt beendet, - teilte ihm das System mit. - Drücken Sie eine beliebige Taste, um mit der Prüfung der Flugzeugintegrität zu beginnen". "Zum Teufel!" - brüllte Falcon und drückte "Abbrechen". Das Logo von Winwars 2002 tauchte auf: das System begann in aller Ruhe zu starten. Bis zum Boden blieben wenige hundert Meter. "Das System ist im abgesicherten Modus gestartet, - teilte schließlich der Bildschirm mit. - In diesem Modus sind alle Flug- und Waffenfunktionen deaktiviert, sie können nur auf dem Flughafen herumfahren." Falcon verstand, dass er keine Zeit mehr hat, noch etwas zu tun, und haute auf 'Eject' in der Erwartung, dass die Cockpit-Klappe abgeschossen wird, und danach ein mächtiger Stoß von unten ihn in die Luft schleudert. Doch statt- dessen erschien die nächste Frage auf dem Bildschirm: "Sind Sie sicher, dass Sie tatsächlich katapultieren wollen?" "JA!!!" - schrie Falcon gellend, auf den ihm entgegen rasenden Boden blickend. "Bitte warten Sie, das Katapultieren wird vorbereitet", - informierte das System unbeeindruckt und versank in Nachdenklichkeit... 2.04.2002, 13:20. Bagdad. Saddam Husseins Palast. - Somit, - berichtete munter der General - dank des selbstlosen Einsatzes unserer Flieger, die den ungleichen Kampf mit dem amerikanischen Aggressor aufnahmen, konnte die Sicherheit unseres Nuklearzentrums verteidigt, und ein hochmodernes geheimes Flugzeug des Gegners zerstört werden... "Wirklich? - der schwere Blick des Diktators stieß ins Gesicht des Berichtenden, und der senkte eilig den Blick. - In der Tat, einen ungleichen. Drei gegen einen, und sie haben Glück, dass sie nicht überlebten, weil er trotzdem das Zentrum erreichte. Wenn etwas das Zentrum rettete, so war es Allahs Gnade. Der General bedeckte sich mit kaltem Schweiß. Er begriff, dass keine Gnade Allahs ihn jetzt retten kann. "Du hast 30 Sekunden, um dich zu rechtfertigen," - warf Saddam faul hin. "Hier! - rief der General und nahm aus einem versiegelten Behälter eine glänzende CD heraus. - Das wurde in den Flugzeugtrümmern gefunden. Der Gipfel amerikanischer Computertechnologien! Modernste Software zur Kampftechnik- steuerung. -Na schön, Du hast jetzt eine kleine Chance, - der Diktator lehnte sich im Sessel zurück. In drei Wochen muss es auf allen Kampfmaschinen unserer Armee installiert sein. - Jawohl, Herr Präsident! - rief der General... Nach drei Wochen und einem Tag kapitulierte der Irak bedingungslos. ------------------------------------------------------------ (C) Yury Nesterenko (YuN), 2000. Homepage: http://yun.complife.info/ Übersetzt von David Trachtenherz, 2003